Neun Punkte wie eine Prozessautomatisierung garantiert keinen Mehrwert bringen wird
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Prozessautomatisierung, oder auch die „Robotic Process Automation (RPA)“ genannt, ist eine fabelhafte Sache und eine massive Erleichterung für Mitarbeiter. Unter der Voraussetzung, dass RPA auch richtig im Unternehmen eingeführt und betrieben wird. Das ist aber oftmals genau das Problem mit RPA.
In vielen Unternehmen wird RPA als interessante Möglichkeit angesehen bestehende manuelle, transaktionale Prozesse ultimativ zu optimieren und einem Software-Roboter zu übertragen. Gut so, denn die Software-Roboter können diese Prozesse schneller und effektiver Bearbeiten als ein Mensch das kann. Mitarbeiter*innen im Unternehmen sollten nicht tagtäglich immer die gleichen stupiden Handgriffe und Tätigkeiten ausführen, sondern gemäß ihren Fähigkeiten für wertschöpfende Tätigkeiten eingesetzt werden.
Das ist es was Ihnen so ziemlich jeder Consultant oder RPA-Spezialist im Rahmen einer RPA-Einführung erzählen wird. Auch ich erzähle dies immer wieder in meinen Gesprächen mit den für eine RPA-Einführung verantwortlichen Managern. Was Ihnen jedoch nicht jeder RPA-Consultant erzählt sind die Dinge die ein Unternehmen falsch machen kann, wenn es darum geht diese manuellen und transaktionalen Prozesse zu automatisieren. Im Rahmen meiner Tätigkeiten für Consulting-Unternehmen bin ich bei meinen Führungskräften immer wieder auf teilweise deutlichen Wiederstand gestoßen, wenn ich diese Fehler thematisiert habe. Warum? RPA soll möglichst positiv und als Allheilmittel für Unternehmensprozesse dargestellt werden.
Aber ist RPA ein Allheilmittel für Unternehmensprozesse? Auf diese Frage gibt es eine klare und eindeutige Antwort. Jein. RPA kann vieles, aber nicht alles und es kommt darauf an, wo und wie RPA im Unternehmen eingesetzt wird. Wie bei jeder Einführung von Prozessen, Produkten oder Software gibt es diverse Dinge die auch bei RPA beachtet werden müssen.
1. Fehler | Proof-of-Concept
Proof-of-Concepts sind eine tolle Sache. In möglichst vielen Unternehmensbereichen einfach mal RPA ausprobieren und sehen wie die Automatisierung denn so funktioniert.
Kann man durchaus so machen. Aber einen Mehrwert werden Sie im Unternehmen damit nicht generieren. Warum? RPA können Sie sich als ein Gefäß vorstellen, ein Glas zum Beispiel. Wenn Sie dieses Glas mit ein paar Tropfen Wasser füllen, werden Sie ihren Durst nicht stillen können. Wenn Sie dieses Glas jedoch mit Wasser voll füllen, können Sie Ihren Durst auch tatsächlich wirkungsvoll löschen.
Mit RPA verhält es sich genauso. Ein oder zwei automatisierte Prozesse werden gesamthaft gesehen, keinen messbaren Vorteil ergeben. Natürlich wird jeder einzelne Prozess Mitarbeiter entlasten und für effektivere Abläufe sorgen. Aber die Kosten für die Implementierung der einzelnen Proof-of-Concept Prozesse und die notwendigen Lizenzgebühren stehen in keiner Relation zu den erzielten Mehrwerten. Da in vielen Unternehmen die Dauer für einen Proof-of-Concept über mehrere Monate, teilweise bis hin zu einem Jahr, angesetzt sind, können keinerlei Skalierungseffekte erzielt werden.
Daher ist mein grundsätzlicher Rat bei jedem Automatisierungsvorhaben:
START SMALL AND SCALE FAST.
Nehmen Sie sich einen möglichst einfachen, simplen und kleinen manuellen Prozess. Derartige Prozesse können teilweise in wenigen Stunden automatisiert werden. Für fast jede RPA-Software gibt es Testversionen bzw. werden von den jeweiligen Herstellern Gratis-Lizenzen für Pilotphasen vergeben. Implementieren Sie diesen einfachen Prozess auf einer solchen Testplattform und testen Sie die Funktionalitäten und die Möglichkeiten die RPA Ihnen zur Verfügung stellen kann. Gehen Sie mit diesem Prozess auf eine Rundreise durch das Unternehmen, schaffen Sie Akzeptanz bei den Mitarbeiter*innen und Führungskräften. Bauen Sie mit Ihren Führungskräften und Mitarbeiter*innen ein Ideenpool mit automatisierbaren Prozessen auf.
Wenn Sie die Akzeptanz Ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter*innen sowie einen Pool an automatisierbaren Prozessen haben, starten Sie großflächig die Automatisierungswelle. Auf diese Weise generieren Sie einen messbaren Mehrwert im Unternehmen.
2. Fehler | Multi-Vendor-Strategie
Am Markt existieren zwischenzeitlich eine größere Anzahl an Softwareunternehmen die entsprechende RPA-Umgebungen anbieten. Neben den großen Playern wie z.B. UiPath, BluePrism und Automation Anywhere, existieren noch viele weitere Anbieter die sich auf die Automatisierung von Prozessen spezialisiert haben. Die Ansätze wie die Prozesse automatisiert werden ist teilweise unterschiedlich, teilweise aber auch vom Aufbau und vom User Interface sehr ähnlich. Natürlich hat auch jeder Anbieter von RPA-Software seine eigene Vorstellung von den zu entrichtenden Lizenzgebühren.
Jeder Anbieter von RPA-Software wird Ihnen in einem persönlichen Gespräch versichern, dass die eigene Software USPs hat, die andere Anbieter nicht haben und nur mit diesen USPs wird Ihnen eine Automatisierung von Prozessen wirklich gelingen. Es wäre daher durchaus naheliegend im Unternehmen mehrere RPA-Umgebungen zu implementieren, um die Leistungsfähigkeit dieser wirklich testen zu können.
Naheliegen vielleicht, aber mit mehreren Herausforderungen. Auch wenn sich einige der bestehenden Softwareumgebungen augenscheinlich sehr ähnlich sind, können darin entwickelte und implementierte Prozesse nicht einfach untereinander ausgetauscht werden. Sie müssen einen Prozess, wenn er in einer anderen RPA-Umgebung laufen soll, dort wieder nachprogrammieren. Ein Copy und Paste funktioniert leider nicht. Wenn Sie mehrere Umgebungen testen und sich dann für eine spezielle Umgebung entscheiden, müssen Sie die in den anderen Umgebungen bereits entwickelten und laufenden Prozesse in der selektierten RPA-Software neu entwickeln. Das klingt im ersten Augenblick nicht so schlimm, da der Prozess ja bereits automatisiert wurde und die grundsätzliche Umsetzung klar ist. Richtig. Das Grundfundament ist vorhanden, aber durch den unterschiedlichen Aufbau der Entwicklungsumgebungen muss auch der Prozess daran angepasst werden. Das kann manchmal durchaus mühsam werden.
Das ganze können Sie natürlich dadurch umgehen, dass Sie einfach mehrere RPA-Umgebungen lizensieren. Je mehr kostenpflichtige Lizenzen Sie benötigen, desto schwieriger wird es entsprechende Skallierungseffekte zu erzielen. Insbesondere wenn in den jeweiligen Umgebungen nur wenige Prozesse automatisiert wurden.
KONZENTRIEREN SIE SICH AUF EINE SOFTWARE, ABER AUF DIESE RICHTIG.
Meine Empfehlung lautet daher immer, prüfen Sie im Vorfeld sehr genau, welche Anforderungen Sie an RPA haben und wie Ihre Digitalisierungsstrategie aussieht. Vergleichen Sie ihre Anforderungen mit den Leistungsversprechen der jeweiligen Softwareanbieter und prüfen Sie die Kosten die für die Software entstehen. Wenn Sie eine Shortlist an Anbietern erstellt haben, die für sie in Frage kommen, laden Sie diese für einen Test ein. Erstellen Sie für diesen Test einen möglichst einfachen zu automatisierenden Prozess, wie z.B. das Kopieren von Daten aus einer Excelliste in eine Datenbank. Lassen Sie sich von den Anbietern zeigen, wie dieser Testprozess automatisiert wird und welche Funktionalitäten die Software bietet. Dann wählen Sie den Anbieter mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis für Ihre Digitalisierungsvorhaben aus und starten mit der Digitalisierungsinitiative.
3. Fehler | Outplacement von Mitarbeitern
Wenn es um Prozessautomatisierung und RPA geht, sind immer wieder Schlagzeilen wie die untenstehende zu lesen:
Bis in das Jahr 2050 wird erwartet, dass beinahe 50% der heutigen Jobs automatisiert sein werden.
Gartner Studie
In der Tat gehört RPA, laut einer Studie von Gartner, zu den am schnellsten wachsenden Segmenten im globalen Markt der Unternehmenssoftware. Viele Mitarbeiter*innen in den Unternehmen denken, wenn es um das Thema RPA geht, zuerst an einen humanoiden, glänzenden Roboter der zukünftig an Ihrem Arbeitsplatz sitzt, dort ihre angestammten Tätigkeiten ausführt und Ihnen ihren Arbeitsplatz wegnimmt. Das sind Klischees die immer wieder in Gesprächen bei RPA-Projekten zu hören sind.
Demzufolge sind die Mitarbeiter*innen oftmals nicht besonders motiviert, im Zuge einer Prozessanalyse auch alle Einzelheiten zu den von ihnen durchgeführten manuellen Prozessen zu erklären. Sie wollen ja nicht, dass RPA Ihnen die Arbeit wegnimmt und dann auch noch besser ist als sie selbst. Verständlich. Aber für den zu automatisierenden Prozess auch gefährlich.
Ein mittels RPA automatisierter Prozess bildet den manuellen Prozess mehr oder weniger 1:1 in einer Automatisierungssoftware nach. Wenn hierbei einzelne Prozessschritte ausgelassen oder falsch abgebildet werden, dann führt dies zu einem fehlerhaften oder nicht optimal laufenden automatisierten Prozess. Die RPA-Business Analysten sind darauf angewiesen von den Mitarbeiter*innen ein präzises Bild zum Ablauf des Prozesses zu erhalten, um daraus einen zu automatisierenden Soll-Prozess zu entwickeln. Dabei spielt es aus Sicht des zu automatisierenden Prozesses keine Rolle aus welcher Motivation heraus der Prozess nicht vollständig oder fehlerhaft dargestellt wurde.
SCHAFFEN SIE VERTRAUEN BEI DEN MITARBEITER*INNEN.
Die Mitarbeiter*innen spielen also in jedem Automatisierungsvorhaben eine essentielle Rolle. Sowohl bei der Darstellung des Prozesses als auch bei dem Aufbau eines Pools an möglichen zu automatisierenden Prozessen. Hierzu muss aber eine mögliche Hemmschwelle oder Angst der Mitarbeiter*innen im Vorfeld abgebaut werden. Die Mitarbeiter*innen dürfen nicht das Gefühl haben, dass ein RPA-Vorhaben Ihnen den Job kosten wird. Im Gegenteil, für das Management ist es wichtig, mögliche Ängste abzubauen, das Gefühl zu vermitteln, dass die Aufgaben der einzelnen betroffenen Mitarbeiter*innen für Sie selbst und das Unternehmen wichtiger werden. Nur dann, wenn dieses Vertrauen sichergestellt ist, kann auch RPA seine volle Wirkung entfalten.
Im nächsten Teil gehe ich auf die Fehler 4 bis 6 ein – von Kosteneinsparungen über komplexe Prozesse zu fehlender Standardisierung und Optimierung.
Bei Fragen und Anmerkungen freue ich mich über eine Kontaktaufnahme!